Reformvorschläge für eine solidarische Grundsicherung
Bericht zur Online-Veranstaltung am 14. Juli 2021
Hartz IV, offiziell Arbeitslosengeld II, ist und bleibt ein politisches Streitthema, weil es gerade so zum Leben reicht, und wer einmal in das System „abrutscht“, ist oft für lange Zeit gefangen – eine grundlegende Reform ist überfällig. Das nahm der SPD-Bundestagskandidat Andreas Mehltretter zum Anlass, sich zusammen mit Prof. Andreas Peichl, Leiter des ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, bei einer Online-Veranstaltung am Mittwoch der Thematik zu widmen.
Bei seiner Darstellung der aktuellen Situation bemängelte er massiv, dass durch die gegenwärtige Form der Gewährung von Arbeitslosengeld II bei den Betroffenen „das Gefühl entsteht, man begegne ihnen mit Misstrauen“. Überbordende Bürokratie mit einer Vielzahl von Formularen und vorzulegenden Belegen überfordere oft die Antragsteller*innen und belaste die Sachbearbeiter*innen mit rein administrativen Tätigkeiten. „Aktive Bemühungen zur Eingliederung in die reguläre Arbeitswelt bleiben dabei auf der Strecke.“ Außerdem werde die Höhe der Regelsätze künstlich kleingerechnet. Mehltretter forderte: „Eine solidarische Grundsicherung muss nicht nur zum Überleben reichen, sondern tatsächlich auch die Teilhabe an der Gesellschaft!“
Ein zentraler Punkt war dann auch bei den von Prof. Peischl erläuterten Reformvorschläge des ifo-Instituts die Frage nach der Zuverdienstgrenze: Wieviel eines möglichen Hinzuverdienstes darf den ALG-II-Bezieher*innen auf ihre Unterstützung angerechnet werden? Im Moment dürfen nur die ersten 100 € komplett behalten werden, darüber hinaus werden mindestens 80 % auf Hartz IV angerechnet – „Arbeit lohnt sich also für Hartz-IV-Empfänger kaum“, so Peichl.
Unter der Prämisse einer aufkommensneutralen Reform sollte nach dem ifo-Konzept die Hinzuverdienstgrenze bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen erhöht werden, finanziert z. B. durch die Schlechterstellung von Kleinstjobs. Notwendig sei auch, die vielen verschiedenen staatlichen Transferleistungen (ALG II, Wohngeld, Kindergeld usw.) zu integrieren und, bei weiterer Digitalisierung der Verwaltung, möglichst automatisiert zu gewähren.
Unterstützt wurde die Klage über den Bürokratismus durch eine Reihe von Diskussionsbeiträgen: „Es ist nahezu unmöglich, die Formularflut fehlerfrei auszufüllen“, war zu hören und „bei einer Länge des Bescheids von 30 oder noch mehr Seiten blickt niemand mehr durch“. Zustimmung fanden dann auch die Vorschläge, den Dschungel an verschiedenen Transferleistungen zu vereinfachen, und die Aussage, die Behörden sollten doch die bereits im System vorhandenen Informationen nutzen und nicht erst mühsam bei den Antragsteller*innen abfragen, insbesondere das Finanzamt verfüge z. B. über enormes Wissen zu den Einkommensverhältnissen.
„Die Arbeit wird uns nicht ausgehen“, antwortete Prof. Peichl auf die vorgetragene Sorge, ob die weitere Digitalisierung in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz das gegenwärtige System der sozialen Sicherung nicht aushebele, „Umschichtungen in größerem Umfang wird es geben“. Mit verstärkten Bildungs- und Ausbildungsanstrengungen müssten wir darauf reagieren. Mehltretter machte dann auch zum Schluss der Veranstaltung klar: Neben Verbesserungen bei der Grundsicherung müsse die Politik auch für gute und gut bezahlte Jobs sorgen, z. B. durch eine Stärkung der Tarifbindung.