Der ernstzunehmende Kern von Pegida
„Gegen die Islamisierung des Abendlands“ wird derzeit jeden Montag in Dresden und anderswo demonstriert, zumindest dem Titel der Veranstaltung nach. Allerdings versammeln sich unter diesem Etikett verschiedene Anliegen und schräge Gestalten – Islamfeinde, Xenophobe, Neonazis, Verschwörungstheoretiker … Der Hauptgrund scheint allerdings eher eine allgemeine Unzufriedenheit mit der politischen Situation zu sein, wie eine Umfrage von Prof. Vorländer (TU Dresden) ergeben hat. [1]
Noch deutlicher lässt sich die Ursache meines Erachtens in den ungekürzten Interviews des NDR mit Teilnehmern der Demonstrationen erfassen: Es geht um ein Gefühl des Abgehängt-Seins vom Rest der Gesellschaft, letztlich um: soziale Ungleichheit. Bei vielen Leuten klingt an: Wenn es der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft nicht einmal schaffen, dass es mir „als Deutsche/m“ materiell einigermaßen gut geht, warum müssen wir dann auch noch Fremden helfen? Dass die Not nicht vergleichbar ist, ist objektiv leicht festzustellen; die subjektive Argumentation dieser Menschen funktioniert für sie aber offensichtlich trotzdem.
Pegidas Fremdenfeindlichkeit und ihr schäbiger Populismus zulasten von Menschen, die vor unvorstellbarem Elend zu uns fliehen und um Asyl bitten, müssen mit aller Stärke der Zivilgesellschaft und der Politik zurückgewiesen werden. Trotzdem müssen wir uns mit der tatsächlichen Hauptursache auseinandersetzen, wenn wir verhindern wollen, dass solche Bewegungen auf längere Sicht gesehen bedrohliche Ausmaße annehmen.
Denn die impliziten Vorwürfe gegen das politische System und die Medien, so wie ich sie interpretiere, sind gerechtfertigt: Im politischen Diskurs finden seit Jahren keine wirklichen Diskussionen über Verteilung und soziale Ungleichheit statt, die Verhältnisse werden als unveränderbar hingenommen und verkauft. Strukturelle Ursachen und Bedingungen für Reich und Arm, Erfolg und Scheitern, Arbeit oder Arbeitslosigkeit werden vollkommen negiert.
Dabei geht es nicht nur um soziale Ungleichheit zwischen einzelnen Menschen. Die Politik hat auch keinerlei Antworten darauf, warum die Verhältnisse von Ort zu Ort so grundverschieden sind: Bayern schwimmt im Geld, Berlin gelinde gesagt nicht, Städte und Metropolregionen boomen, Dörfer vereinsamen, und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt im Osten immer noch bei etwa zwei Dritteln des West-Niveaus. Dabei ist es nicht erstaunlich, dass die Politik keine eindeutigen Antworten hat: Niemand weiß, wie man regionale Disparitäten ausgleichen kann – siehe auch die Situation Griechenlands in Europa.
Das Problem dabei ist aber, dass nach den notwendigen Antworten auch nicht gesucht wird – die Verhältnisse werden als Verantwortung der einzelnen Menschen, Regionen, Bundesländer deklariert, sodass strukturelle Probleme einfach unter den Tisch fallen. Wir diskutieren in Deutschland nicht darüber, was wir dagegen machen können, dass fast eine Million Menschen von Beginn an bis heute im System Hartz 4 leben müssen. Wir diskutieren nicht, was wir dagegen machen können, dass die oberen 10 Prozent der Deutschen 14 (in Worten: vierzehn!) Mal so viel Vermögen besitzen wie die unteren 50 Prozent – was u. a. daher kommt, dass 28 Prozent der Deutschen kein oder sogar negatives Vermögen haben. Wir ergötzen uns dagegen an der Erfolgsgeschichte von Hartz 4, die Deutschland als Ganzem womöglich tatsächlich einiges an Wachstum gebracht hat – von dem die meisten aber nicht profitiert haben, da die Löhne eher gefallen als gestiegen sind (was wiederum Europa dem Abgrund nahe gebracht hat).
Wenn wir es nicht schaffen, diese grundlegenden Probleme der sozialen Ungleichheit anzugehen, brauchen wir uns nicht wundern, wenn uns Bewegungen wie Pegida mit zunehmender Heftigkeit ins Haus stehen.
Fußnote
1. Unter anderem Stefan Niggemeier kritisiert die Ergebnisse der Umfrage, da nur etwa 35 % der Befragten die Umfrage tatsächlich beantwortet haben. Leider sagt Herr Niggemeier nichts darüber, ob solche Zahlen ungewöhnlich sind (sind sie nicht) … Bleibt die Frage, ob diejenigen, die nicht geantwortet haben, andere Merkmale aufweisen als diejenigen, die die Umfrage mitgemacht haben. Natürlich ist die Vermutung, vor allem Demonstranten mit extremeren Ansichten würden die Antwort verweigern, nicht unplausibel. Daraus allerdings Verzerrungen abzuleiten, die das insgesamt doch sehr eindeutige Ergebnis der Umfrage vollkommen relativieren würden, halte ich aber doch für recht gewagt.